Zunehmendes „Gaffer-Phänomen“ als Herausforderung im Rettungsdienst
Aus einer aktuellen Umfrage unter Rettungsdienstmitarbeiterinnen und -mitarbeitern des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) geht hervor, das das Phänomen des Gaffens z. T. eine zunehmende Herausforderung im Rettungseinsatz darstellt. Die Umfrage ergab zudem, dass nicht nur Augenzeugen am Notfallort zu Schaulustigen werden, sondern Sensationslustige bewusst Orte des Geschehens ansteuern, um dort Foto- und Videoaufnahmen für den Zweck der Veröffentlichung zu machen. „Um dem entgegenzuwirken, bedarf es neben gesetzlicher Sanktionierung auch der Sensibilisierung und Schulung der Bevölkerung“, sagt DRK-Generalsekretär Christian Reuter.
Die vom ehemaligen DRK-Bundesarzt Prof. Peter Sefrin initiierte DRK-Umfrage basiert auf 9 Experteninterviews mit erfahrenen DRK-Einsatzkräften. Sie hält unter anderem fest, dass das Phänomen in den letzten Jahren durch die ständige Verfügbarkeit kamera- und internetfähiger Smartphones und sensationslüsternde Berichterstattungen in den Sozialen Medien begünstigt wurde.
„Wer ein Unfallgeschehen zum Anlass nimmt, Aufnahmen mit dem Smartphone zu machen, verhält sich nicht nur pietät- und respektlos der notleidenden Person gegenüber, sondern er begeht formalrechtlich eine Straftat“, betont Helmut Gels, Präsident des Landesverbandes Oldenburg e.V.
Die Gesetzgebung reagierte 2004 auf die Häufung des Phänomens mit einer Neufassung des §201a StGB, der den höchstpersönlichen Lebensbereich und die Persönlichkeitsrechte schützt und seit Januar 2021 unter anderem auch das Fotografieren und Filmen verstorbener Personen mit einer Geld- oder Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren ahndet. Aus Sicht des Rettungsdienstes hapere es in der Praxis z.T. an der Umsetzbarkeit, da die erforderlichen Kräfte fehlen, um entsprechende Anzeigen aufzunehmen. Einsatzkräfte müssen bereits jetzt häufig zusätzliche Ressourcen aufbringen, um die Persönlichkeitsrechte der Notfallpatienten z. B. durch Sichtschutzwände zu wahren und Gaffende davon abzuhalten, beispielweise Zugangswege zu versperren oder in den Rettungsablauf einzugreifen.
Dabei geht es den Gaffern heute nicht nur um die eigentliche Schaulust, sondern vor allem um die zu erwartende Anzahl an Klicks in den sozialen Medien. Die Aufnahmen werden sorglos veröffentlicht und verletzen dabei Persönlichkeitsrechte von Opfern, Angehörigen und Einsatzkräften. Zudem wird eine zunehmende Gefühllosigkeit und ein fehlendes Verständnis für die Situation des Notfallpatienten beobachtet.
In urbanen Brennpunkten kommt es neben Behinderungen von Einsatzkräften auch immer häufiger zu verbalen bis hin zu körperlichen Angriffen. Dieses Fehlverhalten ist auf das Schärfste zu verurteilen, denn oft zählt in Rettungseinsätzen jede Minute.
„Wo immer unsere Einsatzkräfte durch ein nicht zu akzeptierendes Verhalten von Dritten in der Ausübung der z.T. lebensrettenden Maßnahmen behindert werden, können sie mit unserer Unterstützung rechnen“, betont Helmut Gels.
Zum Abschluss der Umfrage werden entsprechende Maßnahmen und Forderungen zur Verbesserung des Einsatzproblems „Gaffen“ abgeleitet. Aus Sicht des Rettungsdienstes wären folgende Maßnahmen richtig und sinnvoll:
- Aufklärung, Schulung und Prävention in Schulen, Fahrschulen und Erste-Hilfe-Kursen über das „Gaffer-Phänomen“
- intensive Aufklärung und Bekanntmachung der strafrechtlichen Konsequenzen für das Gaffen
- Versuch der Deeskalation und der Einbeziehung von „Bystandern“ (unbeteiligte Zuschauende) in Rettungsaktionen, z.B. durch Halten einer Infusion
- unter Einschalten der Medien Vermittlung von Dankbarkeit und Respekt für den Rettungsdienst
- durch öffentlichkeitswirksame Kampagnen wie die Social-Media-Aktion „HELFEN statt GAFFEN“ des Landesverbandes Oldenburg im Jahr 2021
- höhere Strafen bis zum Entzug des Führerscheins.
Der DRK-Landesverband Oldenburg e.V. plant diesbezüglich in Kooperation mit weiteren Beteiligten nach der Corona-Pandemie eine Öffentlichkeits-Kampagne, die diese Entwicklung aufarbeitet und der Arbeit von Rettungsdienst, Polizei, Feuerwehr sowie ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern eine neue Wertschätzung und Beachtung in der Gesellschaft zu Teil werden lässt.
/acw